Vertreibung
und Neubeginn
Die Firma Alfons Babel und Co. (ABC-Glas) war eine
ausgesprochene Vertriebenengründung
nach Enteignung und Vertreibung der Familien von Alfons Babel aus Albrechtsdorf und Franz
Schander aus Antoniwald bei Josefsthal (Kreis Gablonz). Franz
Schander war
gemeinsam mit seinem Bruder Kamill vor der Vertreibung in Antoniwald
selbständig tätig in der Herstellung
von Glasschmuck und bei der
Vertreibung seiner Familie im Juni 1945 noch in Kriegsgefangenschaft.
Sein Schwager Alfons Babel war bis zur Vertreibung im April 1946
selbständiger Glaswarenerzeuger in Albrechtsdorf.
Die Vertreibung führte die Familien
Kamill Schander und die seines alten Freundes Josef Mitlehner
im März 1946 nach Lauterbach im Vogelsberg. Später kam dann auch die
Familie von Franz Schander auf Umwegen aus der sowjetischen
Besatzungszone in die Vogelsberg-Region. Die Familie von Alfons Babel
strandete am 15. Mai 1946 mit einem Heimatvertriebenentransport in
Frankfurt-Mainkur und von dort in Bergen-Enkheim.
Die Gruppe einte der gemeinsame Wille,
eine neue
Existenz
in ihren erlernten Glasberufen aufzubauen; doch schon bald bemerkten
sie, dass
der Standort in Nordhessen keine geeignete Infrastruktur zum Aufbau
einer
Glasindustrie bot. Das hessische Wirtschaftsministerium hatte 1946 ein
Referat zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft der Neubürger
errichtet. Kamill Schander und Josef Mitlehner erhielten eine Zusage
von Referatsleiter Dipl. Ing. Montua für entsprechende Aufbauhilfe
sowie eine Zuzugsgenehmigung für den Obertaunuskreis. Zu der Gruppe
Kamill und Franz Schander, Alfons Babel, Josef Mitlehner und sein
Schwiegersohn Otto Kausch stieß über das hessische
Wirtschaftsministerium der aus Troppau
stammenden Dipl. Ing. Anton Ritschny. Gemeinsam fand man in der
aufgegebenen
Bronzefabrik und
der vorhandenen Gaspipeline in Stierstadt (Taunus) einen geeigneten
Standort
für eine neue Glashütte. Nachdem auch der ehemalige Werksleiter der
Riedelschen Glashütten in Josefsthal und Unter-Maxdorf Direktor
Otto Fischer für das Projekt gewonnen werden konnte, und die zeitnahe
Versorgung mit Rohglas in Aussicht schien, machte sich die Gruppe
daran, eine
entsprechende Infrastruktur in und um Oberursel und Stierstadt
aufzubauen und
weitere dringend benötigte Glasfachleute nach Oberursel zu holen.
Alfons Babel
und Franz Schander sowie Kamill Schander wurden drei von insgesamt
zehn
Gründungsmitgliedern der Glashütte Hessenglas.
Auf der
Suche nach geeigneten Räumlichkeiten wurden die Brüder Kamill und
Franz
Schander sowie Alfons Babel auch auf das noch nicht geräumte
Munitionslager im Wald bei Oberhöchstadt aufmerksam. Das Areal, bestand
im
Wesentlichen aus massiven, fensterlosen Gebäuden und
Bewachungseinrichtungen und
war nach den Erinnerungen von Gerd Schander Ende 1947 nach wie vor mit
Munition
gefüllt. Das Gelände war nur unweit von der Glashütte in Stierstadt
entfernt
und außerhalb des historischen Ortskerns von Oberhöchstadt logistisch
recht gut
zu erreichen.
In
schnellstmöglichen Verhandlungen mit dem hessichen
Wirtschaftsministerium und der amerikanischen
Militärverwaltung
konnte die baldige Räumung des Lagers und die Genehmigung zur
Ansiedlung der
Vertriebenenbetriebe erreicht werden.
Die Gebäude wurden zunächst notdürftig
ausgebaut; Militärbaracken wurden zu
Wohnraum
mit angegliederten Werkstuben umgebaut. Die Beschaffung von Werkzeugen
gestaltete sich schwierig. Noch im Jahr 1947 nahm die Firma Alfons
Babel und
Co. die Produktion auf, sobald das erste Stangenglas der
Hessenglaswerke
verfügbar war. In unmittelbarer Nachbarschaft gründete Kamill Schander
die auf
die Veredelung von Hohlglas spezialisierte Crystal
Schander Comp. Während
Alfons Babel die kaufmännische Leitung übernahm, war Franz Schander für
Produktionseinrichtung und -entwicklung zuständig. Eines
der ersten Produkte von ABC-Glas waren u. a.
Heiligenbilder, die mit vergleichsweise einfachen Mitteln zu fertigen
waren.
Aufschwung
und Wachstum
Kurze Zeit
später, als Franz Schander von der
beschwerlichen Suche von Einkäufern der Firma "Hella" nach einem
geeigneten
Produktionsbetrieb
für Kfz-Rückleuchten erfuhr, entschieden sich die Herren Babel und
Schander
kurzer Hand in dieses für sie gänzlich unerfahrene Geschäftsfeld
einzusteigen.
Die Produktion der Rückstrahler stellte spezielle Anforderungen an die
Lichtdurchlässigkeit und Präzision der Reflektoren. Durch hohes
technisches
Können und Improvisationsgeschick wurden unter der Leitung von Franz
Schander
innerhalb kurzer Zeit die erforderlichen Werkzeuge entwickelt. Das
hierfür
erforderliche Stangenglas wurde im Wesentlichen aus Neugablonz bei
Kaufbeuren bezogen.
Erste
Pressen wurden per Hand betätigt. Durch Einführung maschineller Pressen
konnte
die Qualität und der Ausstoß deutlich gesteigert werden. ABC-Glas
erwarb das Vertrauen
der
verantwortlichen Stellen bei Volkswagen und erhielt den Auftrag zur
Fertigung
der Rücklichtgläser für den VW Käfer, was in den 50er und 60er Jahren
zu einem
starken Wachstum des Unternehmens führte. Nach Auskunft von Gerd
Schander
bedienten bis zu 60 Beschäftigte die Pressen für Käfer-Rücklichter. Im
Laufe
der Jahre wurden u. a. für die Firma Hella eine Vielzahl an
Rücklicht- und
Blinkergläsern gefertigt.
Einen
wesentlichen Umbruch in der
Unternehmensgeschichte erlebte das Unternehmen durch die erfolgreiche
technologische Umstellung der Fertigung von der Glas- zur
Kunststoffverarbeitung, nachdem sich Mitte der 60er Jahre die
Ausrüstung der
Fahrzeuge innerhalb kurzer Zeit auf Kunststoffrücklichter änderte. Nach
Auskunft von Herrn Gerd Schander war es im Wesentlichen erneut das
Verdienst
seines Vaters Franz Schander, den technologischen Wandel erfolgreich zu
gestalten, um die Marktposition des Unternehmens nicht zu verlieren.
Neben dem
Kerngeschäftsfeld der Herstellung technischer Kunststoffgläser für die
Automobilindustrie wurden weitere Kunststoffprodukte wie zum Beispiel
Arzneimittelverpackungen produziert. Nach dem Ausscheiden von Alfons
Babel im Jahr 1969 firmierte das Unternehmen nunmehr unter ABC Glas- und Kunststofftechnik Franz
Schander KG.
Ein
weiteres Geschäftsfeld Ende der 60er und Anfang
der 70er Jahre bot sich im Handel von überwiegend in der
Tschechoslowakei
gefertigen Kristallglaswaren, später auch Waren namhafter
Porzellanhersteller
und der Crystal Schander Comp - dem Unternehmen seines Bruders Kamill
Schander
- in einem Verkaufspavillon auf dem Betriebsgelände in der Waldsiedlung
sowie
einem Ladengeschäft in der Vorstadt, Ecke Bärenkreuzung in Oberursel.
Nach
anfänglich gutem Erfolg wurde das Handelsgeschäft nach etwa fünf Jahren
eingestellt.
Ein
weiterer Meilenstein in der Firmengeschichte
war der Erwerb des auf dem Betriebsgelände der Firma ABC-Glas
ansässigen und
auf die Fertigung von medizinischen Glasgefäßen spezialisierten
Glaserzeugungsunternehmens von Erich Hujer durch Dipl. Ing. Gerd
Schander. Gerd Schander, der als Maschinenbauingenieur in den 60er
Jahren
in die Firma seines Vaters eingetreten war, ersetzte den von Erich
Hujer
errichteten und in die Jahre gekommenen Glasofen durch eine nach
eigenen Plänen
im Eigenbau errichtete neue Glaswanne. Die eigene Glasherstellung
erlaubte es
dem Unternehmen neben der fortgeführten Herstellung von medizinischem
Glas
individuelle Lösungen für die hohen Anforderungen der Flugzeugindustrie
anbieten zu können. So wurden nach Auskunft von Gerd Schander
frühe
Airbusgenerationen im Innenbereich mit Glas (bspw. Leselampen) der
Firma
ABC-Glas aus Kronberg-Oberhöchstadt ausgestattet.
Letztes überlebendes
Unternehmen
der Gablonzer Glasindustrie in und um Oberursel
Trotz der erfolgreichen Bemühungen nach
einer
Diversifizierung der Geschäftsfelder war ABC-Glas nach wie vor im
Wesentlichen
von der Auftragsvergabe einiger weniger Automobilzulieferer abhängig.
Der
erbitterte Preiskampf in der Automobilzulieferindustrie Anfang der 90er
Jahre
und die sich abzeichnenden finanziellen Schwierigkeiten eines mit
Fördermitteln
nach Thüringen expandierenden Mitbewerbers führten im Jahr 1992 zu
einer kurzfristigen
vollständigen Auftragsverlagerung des Hauptabnehmers Hella auf den
Mitbewerber
und damit zum plötzlichen Aus für die Firma ABC-Glas.
Die Maschinen wurden abgebaut und durch
den
Mitbewerber übernommen, der nur wenige Jahre später völlig überschuldet
Insolvenz anmelden musste. Die Werkshallen wurden abgerissen, das
Grundstück
wurde in einzelne Parzellen geteilt und im Wesentlichen mit
Einfamilienhäusern bebaut. Heute
ist die
Waldsiedlung mit dem Egerländer Weg, dem Gablonzer Weg
und dem Sudetenring
eine der begehrten Wohnsiedlungen von Kronberg-Oberhöchstadt. Hinweise
auf die
erfolgreiche Glasindustrie der sudetendeutschen Glasproduzentenfamilien
Babel
und Schander finden sich hier nicht mehr.
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