Vertreibung und Neubeginn
Die Firma
Crystal Schander Comp.
war eine ausgesprochene Vertriebenengründung nach Enteignung und
Vertreibung der Familie von Kamill Schander aus Antoniwald bei
Josefsthal (Kreis Gablonz). Kamill (Camillo) Schander war zusammen
mit seinem Bruder Franz Schander vor der Vertreibung in Antoniwald im
elterlichen Unternehmen selbständig tätig, dessen Kerngeschäftsfeld
die Herstellung von Glasschmuck insbesondere der mit Echtgold überzogenen Gablonzer
Perlen war.
Die
Zwangsaussiedlung aus Antoniwald führte die Familien der Brüder Kamill
und Franz Schander sowie weitere Familien über Umwege nach Lauterbach
in Nordhessen, wo sie mit den aus dem benachbarten Unter-Maxdorf
stammenden Familien des Glasproduzenten Josef Mitlehner und seines
Schwiegersohns Otto Kausch zusammentrafen. Die deutlich geeignetere
logistische Lage von Oberursel zum zeitnahen Wiederaufbau der
Glasindustrie führte die Gruppe in den Vortaunus. Kamill Schander
war Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Gablonzer Industrie in
Oberursel und einer von zehn Gründungsmitgliedern der Glashütte
Hessenglas in Stierstadt.
Auf der
Suche nach geeigneten Räumlichkeiten wurden die Brüder Kamill und Franz
Schander auch auf das noch nicht geräumte Munitionslager in der
Waldsiedlung in Oberhöchstadt aufmerksam. Das Areal, welches im
Wesentlichen aus massiven Bunkergebäuden und Bewachungseinrichtungen
bestand, war nach den Erinnerungen von Gerd Schander Ende 1947 nach wie
vor mit Munition gefüllt. Das Gelände war nur unweit von der Glashütte
in Stierstadt entfernt und außerhalb des historischen Ortskerns von
Oberhöchstadt logistisch recht gut zu erreichen.
In
schnellstmöglichen Verhandlungen mit der amerikanischen
Militärverwaltung konnte die baldige Räumung des Lagers und die
Genehmigung zur Ansiedlung der Vertriebenenbetriebe erreicht werden.
Die
Bunker wurden zunächst notdürftig ausgebaut; Militärbaracken wurden zu
Wohnraum mit angegliederten Werkstuben umgebaut. Die Beschaffung von
Werkzeugen gestaltete sich schwierig. Noch im Jahr 1947 nahm das
Unternehmen Crystal Schander Comp. die Produktion auf, sobald das erste
Rohglas der Hessenglas GmbH verfügbar war. In unmittelbarer
Nachbarschaft gründeten Franz Schander und sein Schwager Alfons Babel
die auf die Herstellung von technischem Glas insbesondere Reflektoren
für die Fahrzeugindustrie spezialisierte ABC-Glas
Alfons Babel & Co.
Aufschwung und Wachstum
Das
Unternehmen stand unter der Leitung von Kamill Schander und seinem
zwischenzeitlich aus der Kriegsgefangenschaft bei Neapel
zurückgekehrten Sohn Herbert Schander. Das vielfältige Produktsortiment
in der Hohlglasveredlung erstreckte sich insbesondere auf Karaffen und
Whiskyflaschen, Vasen, Parfümflaschen, Ascher und Tischfeuerzeuge
sowie von Prunkgläsern. Die Glasveredelung erfolgte in der eigenen
Schleiferei- und Gravurwerkstatt sowie durch bezogene Leistungen von
Montagen (Mitlehner, Kronberg) und Glasmalerei (W. Hermann, Hadamar).
In den 60er Jahren wuchs die Zahl der Beschäftigten auf bis zu 25 fest
angestellte Mitarbeiter.
Ein
weiteres Geschäftsfeld Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre bot sich
zusammen mit der Fa. ABC-Glas - dem Unternehmen von Franz Schander - im
Handel von überwiegend in der Tschechoslowakei gefertigen
Kristallglaswaren, später auch Waren namhafter Porzellanhersteller und
der Crystal Schander Comp. in einem Verkaufspavillon auf dem
Betriebsgelände in der Waldsiedlung sowie einem Ladengeschäft in der
Vorstadt, Ecke Bärenkreuzung in Oberursel. Nach anfänglich gutem Erfolg
wurde das Handelsgeschäft nach etwa fünf Jahren eingestellt.
Ein hoher
Anteil der Produktion gelangte in den Export insbsondere nach
Lateinamerika und in die USA sowie im Direktverkauf an die in
Deutschland stationierten Angehörigen der US-Armee.
Niedergang der
Glasindustrie in den 80er Jahren
Gestiegene
Lohnkosten insbesondere in den 60er und 70er Jahren sowie der
zunehmende Wettbewerb mit gepresstem Gebrauchsglas und
nachgeahmte Produkte aus Fernost erschwerten die Wettbewerbssituation
zusehens. Nach dem Tod von Kamill und Herbert Schander Mitte der 80er
Jahre übernahm Dorothea Schander, geb. Posselt - Witwe von Herbert
Schander - die Geschäftsführung, bis 1987 die Produktion endgültig
eingestellt wurde.
Die
Werkshallen wurden abgerissen, das Grundstück wurde geteilt und im
Wesentlichen mit Einfamilienhäusern bebaut. Heute ist die Waldsiedlung
mit dem Gablonzer Weg
und dem Sudetenring
eine der begehrten Wohnsiedlungen von Kronberg-Oberhöchstadt. Hinweise
auf die erfolgreiche Glasindustrie der sudetendeutschen
Glasproduzentenfamilien Schander und Babel finden sich hier nicht mehr.
Quellen:
Auskünfte von Dorothea Schander,
geb. Posselt, Oberhöchstadt
Heerdegen, Manfred:
"Neuanfang nach der Verteibung, Glasmacher aus Gablonz fanden nach 1945
eine Heimat im Hochtaunus", Mitteilungen des Vereins für Geschichte und
Heimatkunde Oberursel (Taunus) e.V., Heft 48 , 2010, ISSN
0342-2879
(erhältlich für 5 EUR im örtlichen Buchhandel)